„Warum machst du so ein komisches Gesicht?“, fragt Anna ihre Kollegin Tanja. „O.K., du brauchst nicht zu antworten. Ich weiß Bescheid“, fügt sie gleich hinzu. Und ihr viel sagender Blick folgt der neuen Sekretärin des Abteilungsleiters, die seit vier Monaten im Unternehmen arbeitet.
„Also, denkst du nicht, es ist langsam Zeit, dass jemand etwas unternimmt?“, fragt Tanja.
„Na ja, ich denke, so wie sie sich anzieht, wird sie hier nicht Vorstandsvorsitzende“, grinst Anna. „Hast du gesehen, was sie heute nicht anhatte?“
„Das ist es ja. So kann man doch nicht ins Büro gehen! Ihr Kleid ist so eng, dass ich mich frage, wie sie noch atmen kann. Und darunter kann man schon bald die Marke ihrer Unterwäsche ablesen.“
„Also, ich habe das Gefühl, unsere männlichen Mitarbeiter stört das überhaupt nicht“, sagt Anna und kichert. „Muss ich dich jetzt ´Etikette-Polizistin` nennen?“
„Du nimmst das wieder einmal nicht ernst. Aber ich habe das Gefühl, ich muss etwas unternehmen. Denn ich finde, ansonsten macht die Neue ihren Job recht gut. Merkt sie denn nicht, dass sie mit ihrer Kleidung ihre Kompetenz völlig untergräbt? Und außerdem fühle ich mich auch verantwortlich für das Unternehmen. So kann man keinem Kunden gegenüber treten!“, beharrt Tanja.
Wir haben Leserinnen gefragt, wie sie an Stelle von Tanja reagieren würden:
Das würde Pia S. tun:
„Ich würde die neue Mitarbeiterin um ein Vier-Augen- Gespräch bitten. Ganz locker und freundlich würde ich ihr sagen, dass ich sie für sehr kompetent halte. Dann würde ich ihr nahe bringen, was ich ganz persönlich von ihrer Kleidung denke, welche Außenwirkung sie damit erzielt und wie sich ihr Äußeres mit großer Wahrscheinlichkeit auf ihr berufliches Fortkommen auswirken wird. Ich würde ihr nicht sagen, dass hinter ihrem Rücken bereits getuschelt wird.
Meine Begründung: Ich gebe ihr damit das Gefühl, dass es nur eine Sache unter uns ist und ich ihr grundsätzlich wohlwollend gegenüberstehe. Sie hat dann nicht das beschämende Gefühl, dass die ganze Firma hinter ihrem Rücken über sie herzieht.“
So denkt Regina A.:
„Ich würde gar nichts zu ihr sagen. Das ist Sache ihres Chefs. Im Grunde genommen kann es mir egal sein, ob sie sich unmöglich macht oder nicht.
Meine Begründung:Wenn sie nicht weiß, wie man sich im Beruf kleidet, ist das nicht mein Problem. Sie wird dann schon merken, dass sie im Unternehmen auf keinen grünen Zweig kommt.“
So würde Andrea Z. handeln:
„Ich würde das Problem zuerst mit meinem Chef besprechen, vor allem, was den Kontakt mit Kunden anbelangt. Dann würde ich mit ihm klären, wer die Neue darauf ansprechen soll. Wenn die Wahl auf mich fällt, würde ich ein sehr sachliches Gespräch unter vier Augen mit ihr führen.
Meine Begründung: Jetzt habe ich den offiziellen Rückhalt von oben. Der Verdacht, ich persönlich könnte besonders prüde oder neidisch sein, fällt weg. Die rein sachliche Argumentation verhindert von vorne herein eine emotionale Aufladung des Gesprächs. Denn es ist immer verletzend, wenn man jemandem sagen muss, dass er sich unpassend kleidet.“