Katharina schließt die Wohnungstür hinter sich und setzt sich – noch im Mantel – auf ihren Küchenstuhl. Vor einer Stunde hat sie das Büro verlassen, um nach Hause zu gehen, und sich von ihrem neuen Chef verabschiedet, mit dem sie seit vier Wochen zusammenarbeitet. Seit ungefähr einer Woche macht sich ein unangenehmes Gefühl in ihrer Magengrube breit, wenn ihr Chef ins Büro kommt. Schon ein paar Mal hatte sie das Gefühl, dass bestimmte körperliche Berührungen ihres Chefs nicht ganz unabsichtlich waren.
Zuerst hatte sie dieses Gefühl einfach beiseite gewischt und sich selbst eine „dumme Gans“ geschimpft, die sich nur etwas einbildet. Was ist schon dabei, wenn die Hand des Chefs etwas länger auf ihrer Schulter ruht oder er ihr in den Mantel hilft und dabei zufällig über ihren Nacken streift? Aber heute Abend schrillen bei ihr innerlich wieder alle Alarmglocken:
Sie hat sich wie immer von ihrem Chef verabschiedet und ihn gefragt, welche dringenden Aufgaben gleich morgen früh auf sie warten. Er hat ihr daraufhin einige Unterlagen für die morgige Präsentation übergeben mit den Worten: „Die sind für das 10-Uhr-Meeting. Übrigens, morgen Mittag habe ich ein Geschäftsessen mit Dr. Langgärtner. Sie begleiten mich doch?“ Dabei hat er ihr ganz langsam über den Handrücken gestreift und ihr tief in die Augen geblickt. „Was soll ich bei diesem Geschäftsessen?“, fragt sich Katharina jetzt. „Es ist völlig unnötig, dass ich dabei bin, und es kostet mich nur Zeit, die ich anders besser nutzen könnte! Ich fühle mich mit dem Verhalten meines neuen Chefs überhaupt nicht wohl. Ich muss dem Einhalt gebieten. Aber meine Arbeit macht mir Spaß, und ich will die gute Zusammenarbeit mit dem neuen Chef nicht gefährden. Was soll ich nur tun?“ Wir würden Sie an Katharinas Stelle handeln?
Das würde Chiara S. tun:
„Ich würde mich ziemlich schnell nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen. Mit so einem Chef kann ich nicht zusammenarbeiten.
Begründung: Worauf soll ich ihn denn ansprechen? Ich weiß zwar, dass sein Verhalten nicht korrekt ist, und er sicher auch. Aber er wird es nicht zugeben, und bisher hat er ja noch keinen beweisbaren Übergriff begangen. Ich kann mich also nur auf mein Gefühl stützen, und das wird er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ernst nehmen. Vielleicht ändert er sein Verhalten nach einem Gespräch, aber das Vertrauen ist trotzdem gestört, zumindest von meiner Seite.“
So würde Lea T. reagieren:
„Ich würde ihn unter vier Augen ganz klar darauf ansprechen und ihm wörtlich sagen, dass ich mich ‚unangenehm berührt fühle’. Außerdem würde ich ihm erklären, dass meine Anwesenheit im Sekretariat sicher dringender erforderlich ist als bei Geschäftsessen, es sei denn, ich muss etwas protokollieren.
Begründung: Wenn ich das Thema anspreche, sind die Fronten geklärt. Ich sehe dann, wie er reagiert. Vielleicht bessert sich dann das Verhältnis zur rein sachlichen Zusammenarbeit. Wenn nicht, muss ich Konsequenzen ziehen.“
Das meint Petra A. dazu:
„Ich würde zum Betriebsrat gehen und klar sagen, dass ich von meinem Chef sexuell belästigt werde.
Begründung: Einem solchen Verhalten muss man Einhalt gebieten, zur Not vor Gericht!“